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#artbookfriday – Die Kunst und das gute Leben Was wäre die Kunst ohne die Ethik?

Was ist Kunst? Was darf Kunst? Wer macht Kunst? Das sind Fragen, die Hanno Rauterberg, promovierter Kunsthistoriker, Journalist und Redakteur im Feuilleton der Wochenzeitung DIE ZEIT, in seinem Essay Die Kunst und das gute Leben – Über die Ethik der Ästhetik, 2015 im Suhrkamp Verlag erschienen, stellt.

Über das Buch

Rauterberg betont, dass „die Freude am Äußerlichen (prägt) die Ethik dieser Ästhetik“ prägt (S. 116). Doch was ist das Äußerliche? In seinem Buch „geht es darum, den Blick zu weiten und das Kunstsystem zu befragen: als ein System der Werte” (S. 11). Die Kunst verliert ihren ursprünglichen Zweck, da „im freien Austausch der Werte (ereignet) sich ein Tauschhandel der Bedeutungen“ (S. 57) vollzieht. Nun, in dieser Zeit der „Postautonomie“ (S. 10) gilt es neue Werte zu verhandeln.

Der Künstler

Im Künstler „manifestiert sich die Souveränität eines Subjekts, das nicht länger über seine Hervorbringungen definiert ist, nicht pimär über das Tun, sondern vor allem über das Sein. Entscheidend ist am Ende der klangvolle Name des Künstlers. Er bewirtschaftet sein eigenes Image, und dieses Image legt sich über die von ihm vertriebenen Werke.“ (S. 53) Hierbei bezieht sich Rauterberg ausschließlich auf den erfolgreichen Künstler und somit auf eine winzige Minderheit, was beim Lesen zu einer fehlerhaften Pauschalisierung führen kann. Denn nicht jeder Künstler ist erfolgreich und somit ist diese Prämisse irreführend.

Die Kunstmacher

An anschaulichen Beispielen beschreibt Rauterberg die Entwicklung des Kunstmarktes und das Verhältnis von Auftraggeber und Künstler, wobei Künstler mittlerweile offensichtlich dem Auftraggeber (Konzerne, Galerien, Kuratoren, Großsammler) zu Diensten stehen. „Eine Ästhetik des Mehr-und-immer-mehr wird durchzogen von ethischen Maximen, die das Gute im Großen suchen, im Anhäufen, Beschleunigen, in einer machtvollen Außenwirksamkeit. Es sind diese Maximen, die weite Teile der Kunstwelt bestimmen.“ (S. 96) Selbst die öffentlichen Förderungen scheinen lediglich jenen Künstlern zur Verfügung zu stehen, die sich den undemokratischen Vergaberäten beugen. Der Autor konstatiert, dass „die Macher der Kunst (sind) nicht länger jene, die Kunst machen“ (S. 97) sind. Die Kunst ist vielmehr ein „Herrschaftszeichen“ (S. 102) geworden, denn „gebraucht werden die Künstler oftmals als Reputationsbeschaffer und Bedeutungsgaranten“ (S. 108). Sie scheinen Marionetten des „Elitären und in einem konsumistischen Sinne Exklusiven“ (S. 116) zu sein. Spätestens hier wird dem Leser klar, dass Rauterberg sich lediglich auf die upper class der Gesellschaft bezieht, da er als prägende Beispiele die Luxusartikel- und Kunstmuseumsproduzenten Pinault und Arnauld nennt. Der Autor vergisst dabei nicht so teure Künstler zu erwähnen, doch dies ist wahrscheinlich auf die verblasste Kaufkraft der schwindenden Mittelschicht zurückzuführen, mit der zahlreiche kleine Galerien zu kämpfen haben. Er bezieht sich ausschließlich auf die oberen Zehntausend, welche den Wert der Kunst als Inventionsmöglichkeit betrachten und sich mit medialer Präsenz rühmen.

Der Kunstmarkt

Die Vermarktung der Kunst ist zu einer „Kollektiverfahrung, einem Miteinander auf Zeit“ (S. 58) geworden. Kunst wird zum Event, zum Erlebnis (Vgl. Erlebnisökonomie, nach: Joseph Pine, James Gilmore, The Experience Economy, Boston, 1999), bei dem sich das Who´s Who der Elite zu präsentieren weiß. Die Rekordpreise verführen den Künstler dazu den Ansprüchen des Marktes gerecht(er) zu werden. „Unweigerlich wird jede Geste der Verweigerung von manchen als eine umsatzsteigernde Strategie gewertet“ (S. 84), auch wenn die Intention eine gänzlich andere ist. Kunst ist somit – ob unfreiwillig oder nicht – ein Teil dieser Welt geworden, generalisiert Rauterberg. In dieser Welt zählen Maße und Größen, aber „Größe verlangt Achtung, verlangt Abstand, Größe ist gebieterisch, sie lässt den Betrachter klein erscheinen. Diese Kunst verdankt sich einem Geist der Überbietung und Überwältigung. Und wenn sie von einem guten Leben kündet, dann ist es eines, in dem vor allem Äußerlichkeiten zählen: mehr ist immer mehr“ (S. 92/3). Man könnte den Eindruck gewinnen, dass jeder Künstler dieser Welt angehören und die Karriereleiter bis an die letzte Sprosse emporsteigen möchte, da dies die ultima actio seines Daseins scheint. Rauterberg bedient sich offensichtlich zahlreicher Verallgemeinerungen – wie auch dieser – , um seine These zu unterstützen.

Die Macht der Kunst

Kunst kann aber viel mehr, als nur diese Welt zu repräsentieren. Kunst kann kritisch sein, innerhalb einer Diktatur ist sie oftmals ein „Katalysator“. „In offenen Gesellschaften hingegen ist die kritische Kunst nicht selten unkritisch.“ (S. 158) Kunst kann ebenso politisch, indem sie „Verbindungen stiftet“ und/oder bestimmte gesellschaftspolitische Themen dem Betrachter näher bringt und ein politisches Interesse weckt. Gleichzeitig kann sie sozial sein. Ein Beispiel hierfür wäre Kunst im öffentlichen Raum zu nennen, welche zudem auch wirtschaftliche Faktoren mit sich bringt, wie die Aufwertung eines Stadtgebietes. Schließlich kann Kunst aufklärerisch sein und bilden, denn sie ist ein „bonum morale, kein physisches, sondern ein sittliches Gut“ (S. 202). „Oft begeben sich die Künstler ins Unscheinbare und entsprechend wird über sie kaum berichtet; selten finden ihre Initiativen in den etablierten Sphären der Kunstwelt ein Echo“ (S. 168), stellt Rauterberg fest. Doch jede auch so kleine Underground-Bewegung hat ihre Wirkung. Zwar geht der Autor auf die Streetart-Bewegung ein, doch seine kritische Auseinandersetzung fällt schwach aus. Seiner Einschätzung nach wurden „einige Hundert Projekte“ (S. 198) abseits des etablierten Kunstmarktes bereits realisiert, doch bei dieser Ziffer handelt es sich vielmehr um eine imaginäre, aus der Luft gegriffene Schätzzahl. Freilich kann hier von hunderttausenden Einzelaktivitäten und Projekten gesprochen werden.

Fazit

„Das gute Leben und die guten Absichten wollen nicht immer problemlos zueinanderfinden.“ (S. 173) Dem kann ich Rauterberg zustimmen, doch auch Recht und Gerechtigkeit, objektiver Überblick und subjektive Meinung oder Progressivität und Dogmatik, sowie Verstehen und Begreifen verfehlen einander machmal mühelos. So ist Rauterbergs journalistisches Essay als Kritik der Hautevolee zu betrachten. Diese ist in der Zeit der Wirtschaftskrise und ihrer Folgen durchaus berechtigt, doch lassen seine Ansichten an rhetorischer Neutralität und tiefgründiger Perspikuität zu wünschen übrig. Lösungsansätze werden lediglich peripher angedeutet, ohne dabei einen neuen, konstruktiven Vorschlag zu unterbreiten. Wer dennoch über die unfaire und doch legale Vergrößerung der Kluft zwischen arm und reich am Beispiel der Kunst schimpfen möchte, ist bei Rauterberg genau richtig.

Facts

Titel: Die Kunst und das gute Leben – Über die Ethik der Ästhetik
Autor: Dr. Hanno Rauterberg
206 Seiten
Suhrkamp Verlag Berlin
Preis: € 15,00 [D] | € 15,50 [A] | CHF 21,90

Leseprobe

Diese Rezen­sion erscheint im Rah­men des #art­book­fri­day, ins Leben gerufen von Muse­um­lifestyle. Das Buch habe ich selbst erworben.

Coverbild © Suhrkamp Verlag