#Banalitätsdiskussion #DaWarDochWas #Fortsetzung
Vor kurzem besuchte ich die Vernissage der Edvard-Munch-Ausstellung in der Albertina. Zugegebenermaßen spielte der freie Eintritt für mich eine gewisse Rolle und wie es sich später herausstellte, für viele andere Menschen auch …
Der Einlass begann plangemäß um 18:30h und mit der üblichen akademischen Viertelstunde Pünktlichkeit, traf ich mit einer befreundeten Kunsthistorikerin ein. Dass die Ausstellungseröffnung gut besucht sein müsste, war von vornherein klar, doch erst als wir das Museum verließen, zeigte es sich wie gut besucht: die Warteschlange verlief die Außentreppe entlang bis zum Filmmuseum und der Filmbar.
Nach einer zum Glück nur gefühlten Ewigkeit, um ca. 19:15h durften wir die Ausstellungsräume betreten. Die Vorfreude auf Munchs Werke verblasste binnen weniger Sekunden als die Realität uns einholte. Der erste Eindruck, mein unerfüllter Schrei nach Luft, wurde von der Hitzewelle des stickigen Raumes übertüncht. Zahlreiche Besucher türmten sich vor den Werken, um dem Selfietrend einen kulturellen Touch, nach dem Motto „Kunst ist cool – ich war dabei“ zu verleihen (vergleichbar mit der Inschrift auf der Klotür angesagter Lokale: ich war hier, Datum). Selbstverständlicherweise wurden Munchs bekannteste Werke am meisten und am längsten okkupiert, stets mit der Denkerpose, also mit der Hand das Kinn umfassend, ausdiskutiert. Man hatte den Eindruck, als ob ein Wettbewerb, wer am Kunstinteressiertesten und am längsten vor einem Bild ausharrt, stattfand.
Meine Kollegin und ich überlegten kurz, ob wir nicht evtl. sofort umdrehen oder einen Sprint durch die Ausstellungsräumlichkeiten hinlegen. Wir entschieden uns für die zweite Option, damit der Weg ins Museum und das Anstehen nicht vergebens waren.
Auffällig und für mich eher ein Störfaktor waren, neben der Fehlfunktion der Klimaanlage, ein eigentlich eher nebensächliches Detail, nämlich die grellen Farbwände. Jeder Raum war in einem kräftigen grün, rot etc. ausgemalt. Es war sicherlich eine gut gemeinte Idee, welche eine gewisse Freundlichkeit, hippen Look und/oder Jugendlichkeit ausstrahlen sollte, doch mich überforderten die vielen Farben und somit jeder Raum aufs Neue. In Kombination mit den zahlreichen Besuchern vermittelten mir die Farben eine bedrohliche, einengende Stimmung, welche zudem von Munchs Werken zu stark ablenkten. Aber geht es denn überhaupt noch um die Kunst?
Die wichtigsten Informationen über den Künstler waren in eleganter Schrift abschnittsweise auf den Wänden zu finden; Titel (deutsch/englisch), Entstehungsjahr und Medium (z.B. Holzschnitt, deutsch/englisch) neben den einzelnen Werken. Somit hatte das Museum seine Pflicht den Besucher zu informieren, d.h. mit substanziellen und unverzichtbaren Angaben, erfüllt. Ich möchte mich nicht beschweren, denn immerhin war der Eintritt gratis und als Kunsthistorikerin mit idealistischen Wertvorstellung steht selbstverständlicherweise das Bild im Vordergrund. Im Laufe des Studiums hatte ich genügend Zeit durch das Erlernen kunstwissenschaftlicher Methoden Bilder zu beschreiben, analysieren und zu interpretieren, daher kann ich bei einer Ausstellung auf Vieles (vor allem rhetorischen Inhalt) verzichten. Der Blick ist geschult und Hintergrundwissen ist vorhanden. Man braucht zwar kein Kunstgeschichtsstudium um die wichtigsten Merkmale einer Komposition zu erkennen (jeder Künstler hat seine Eigenarten, welche sich durchaus als Charakteristika in seinen Werken widerspiegeln), dennoch sollten doch zumindest ein paar kunsthistorische Phänomene oder zumindest Symbole und Intentionen erklärt werden.
Durch die stickige Luft, tropische Hitze, den Platzmangel genötigt, und meiner Gesundheit zu Liebe flitzte ich sozusagen durch die Ausstellung und eilte zum Ausgang. Wer sich anschließend die anderen Ausstellungen in der Albertina angesehen hatte, konnte durch einen direkten Vergleich die Auswirkungen medialer Inszenierung und des freien Eintritts bemerken.
Später im Museumsshop überraschte mich die Qualität des Ausstellungskatalogs. Hochglanzbilder, angenehmes, dickes Papier, leider kein Hardcover, sondern lediglich eine gebundene Ausgabe und sehr viel Platz. Ja, sehr viel Platz! Man wollte offensichtlich minimalistisch, puristisch, elegant sein und bildete beispielsweise auf der rechten Seite einer Doppelseite ein Bild ab, die linke Seite blieb leer. Es wurden auch beide Seiten mit Munchs Werken ausgestattet. Auf den ersten Blick wirkt dies wirklich schick. Wenn man aber nun bedenkt, dass der Katalog nicht mehr Seiten als ein Anderer hat, dann musste man allerdings an anderen Stellen kürzen. Es fehlte daher der Inhalt, im Sinne einer konsequenten kunsthistorischen Auseinandersetzung mit dem Künstler und seinen Werken.
Der sporadische Umgang mit Informationen in der Ausstellung spiegelte sich im Kunstkatalog wider. Um ehrlich zu sein, selbst die Schriftart der Texte ähnelte jener auf den Wänden. Es würde mich nicht überraschen, wenn der Textinhalt nicht auch identisch wäre.
Leider bin ich mehr von einem Ausstellungskatalog gewohnt, daher würde ich diesen eher als ein Bilderbuch bezeichnen. Vielleicht bin ich ein bisschen zu streng mit meiner Kritik, vielleicht sollte ich meine Ansprüche ganz tief nach unten schrauben und vielleicht sollte ich dankbar sein, so wertvolle Bilder gratis sehen zu dürfen. Vielleicht…
Ich möchte mich vergewissern, dass üblicherweise mehr Textinhalt in Ausstellungskatalogen zu finden ist und diese angesprochene Reduktion oder dieser Verzicht hoffentlich nur ein kurzfristiger Trend und keine Reflexion der Arbeitsmoral der Mitarbeiter und Kuratoren der Albertina ist, also stehe ich auf, gehe zu meinem Bücherregal und wähle aus meiner bescheidenen privaten Bibliothek willkürlich einen Kunstkatalog aus. Um nicht bewusst einen Katalog auszusuchen, fixiere ich meinen Blick auf ein höher stehendes Regal und betrachte konzentriert ein Buch von Hans Belting, während ich ein paar Etagen tiefer nach dem erstbesten greife und „Nackte Männer, von 1800 bis heute“ (Leopold Museum, 2012) erwische. Flüchtig durchgeblättert – der kurze Blick genügt um die Differenz oder vielmehr Kluft zu erkennen. Da sind Kapitel, Fußnoten, Verweise! Man hat zahlreiche, hintereinander folgende Seiten mit Text bedruckt! Anschließend viele beschriftete Bilder und dann erneut ein langer, langer, langer Text! Es scheint zumindest bei diesem Beispiel eine Balance zwischen Bildern und Text-Inhalt nach einem sich wiederholenden Muster zusammengefügt zu geben.
Auch wenn ich mir nur einen anderen Katalog zum Vergleich angeschaut habe und keine Feldforschung zu diesem Sujet beabsichtige, hat mich diese Gegenüberstellung augenblicklich beruhigt. Was die Ausstellung anbetrifft, so standen zumindest an diesem Tag eher die Besucherzahlen im Vordergrund. Doch es besteht noch Hoffnung!
MN ist Kunsthistorikerin in Wien. Wir danke ihr herzlichst für diesen Gastbeitrag !
Sehr gut geschriebener Gastbeitrag. Ich bin zwar ein riesiger Fan der Albertina, aber es ist schön auch einmal einen reflektierenden, kritischen Beitrag zu lesen.
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