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#Artbooks – Virtual Normality – Netzkünstlerinnen 2.0

© 2018 VfmK Verlag für moderne Kunst

Vom 12.1.2018 bis zum 12.5.2018 war im Museum der bildenden Künsten in Leipzig die Ausstellung “Virtual Normality – Women Net Artists 2.0” zu sehen. So bedauerlich es war, diese nicht besuchen zu können, umso erfreulicher ist es, dass wir den Ausstellungskatalog rezensieren können.

Anika Meier ist nicht nur in unser Filterblase ein Begriff. Mit ihren gekonnten, schneidenden und intelligenten Beiträgen fällt sie schon lange auf, daher freuten wir uns sehr, dass sie gemeinsam mit Sabrina Steinek vom Kunstmagazin Keen ON die Ausstellung “Virtual Normality” in Leipzig kuratierte.

„grab them by the pussy ?!“ – Ein paar Gedanken zu den feministischen zeitgenössischen Strömungen in Kunst- und Bildwissenschaft

Digital turn – Digitalisierung – Instagram – Postfeminismus – Netzfeministinnen – Körperlichkeit – Kunst. Die hier bloß hingeworfenen Worte zeigen die Zeitenwende in der wir uns gerade befinden. Eine (scheinbar ?) neue Generation an feministischen Künstler_innen taucht auf, die die Klaviatur der Social Medien zu bedienen weiß.

Wo befindet sich derzeit die zeitgenössische feministische Kunst ? Künstler_innen wie artwerk6666, bloatedandalone4evr1993, artbabygirl oder thisismayan beherrschen Instagram, Tumblr, Twitter und Snapchat.

Friauf führt in ihrem Artikel, Zwischen Realität und Utopie: Geschlechterkonzepte und Selbstbilder in der zeitgenössischen bildenden Kunst, aus, dass die am stärksten Aufsehen erregenden feministischen Kunstaktionen Performances waren, nackte Frauen, die aus der Objektposition heraustreten und eigenschöpferisch tätig werden.[1] Die Autorin zählt die Gründe der Künstlerinnen auf, warum diese ihre Körper einsetzen:

  • Thematisierung des Frau-Seins
  • Rolle der Frau als Objekt der Kunst
  • Schöpferkraft
  • Eigene Individualität
  • Verletzlichkeit der äußeren Hülle dieser Individualität und des Körpers
  • Bedeutung dieser Aspekte für alle anderen Frauen

Byung-Chul Han widmet sich in seinem Essay „Die Errettung des Schönen“ der Ästhetik des digitalen Zeitalters. Permanent, immanent, ständig präsente, inflationäre, perfekte, glatte Schönheit – hat man ein Instagram-Profil gesehen, so kennt man alle – weicht man davon ab, so läuft man in der digitalen Welt Gefahr sofort einem Shitstorm ausgesetzt zu sein. Nach Han ist das Glatte die Signatur der Gegenwart, wobei es Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander verbindet. Die jungen (Netz-?)-Feministinnen versuchen nun das Glatte aufzubrechen, konträres aufzuzeigen und setzen dabei ihre Körper ein, bearbeiten, ritzen und zeigen ihre Körper, wälzen sich in Betten wie Tracy Emin. Körperlichkeit und Selbstverletzung – bis ins Fleisch gehend – nicht nur Gina Pane, sondern auch österreichische Künstlerinnen wie Valie Export und Elke Krystufek bearbeiten ihre Körper.

Ein weiteres Beispiel ist die Künstlerin Amalia Ulman, die auf Instagram den „Rise and Fall“ eines (klassischen) Social-Media-Babes bzw. It-Girls inszenierte und performte, dennoch wurde ihre Performance „Excellences & Perfections“ erst nahezu zwei Jahre später überall diskutiert (und wohl erst als solche erkannt) wurde, da ihre Perfomance den Weg in die Tate und die Whitechapel Gallery fand.[2] Künstlerinnen wie Petra Collins, Arvida Byström und Molly Soda fallen immer wieder der Zensur von Instagram zum Opfer, weil sie Schamhaar, Körperflüssigkeiten, Menstruationsblut und nackte Haut zeigen.[3] Die Zensur und ein anderer Umgang mit dem weiblichen Körper in den Medien ist ihr Thema, dagegen kämpfen sie an.

Nur – ist das alles wirklich etwas Neues ? Wie werden Körperbilder online und von der Community als Gesellschaft überwacht ? Welche Abbildungen sind für die digitale Welt angemessen ? Auf welche Vorbilder greifen die Künstlerinnen zurück ? Wie zeigt sich Feminismus in der zeitgenössischen Kunst ? Wie beeinflussten Cecily Brown oder Tracey Emin die Performance-Kunst (der neuen Generation) ? Sind diese Darstellungen im Netz Performances ? Wie beeinflusst der digital turn die Kunst und beeinflusst die Kunst den digital turn ? Finden oder verdienen die sozialen Medien überhaupt einen Platz in der heutigen Museumslandschaft ? Wie können Geschlechterkonzepte und Selbstbilder in diesem Kontext aussehen ?

In einer Zeit wo ein spürbarer Rollback stattfindet – auch dieser ist auf Instagram schön abgebildet – Bilder von perfekt eingerichteten Heimen, Bilder von perfekt arrangierten Essen, Kuchen, Kleidern, Kindern, Frauen – zeigen eine Rückkehr eines Biedermeier 2.0. Wie sehr können sich die Netzkünstlerinnen auf erworbenen Rechten ausruhen, banalisieren und unterlaufen sie und gehen auf die perfekt inszenierten Rollenbilder ein.

Virtual Normality

Die Ausstellung und die vorliegende Publikation bieten erste Antworten und Denkanstöße. Im Beitrag “Einführung: WE NEED AN UPGRADE ON HOW WE VIEW ART – Künstlerinnen im Zeitalter der digitalen Selbstinszenierung” zeigt Anika Meier die Erfahrungen der Künstlerinnen mit den digitalen Medien auf – Zensur, Angriffe, Morddrohungen, gesperrte Accounts und erklärt warum es diese Ausstellung gibt – da Künstlerinnen im Internet Erfahrungen machen (mussten), über die dringend gesprochen werden muss (S. 180).

Vor allem der “weibliche Blick” soll einer Betrachtung im Sinne des 21. Jahrhunderts unterzogen werden: Wie veränderte sich die Kunstproduktion, Kunstrezeption, aber auch Kunstkritik durch das Internet.  Virtual Normality beinhaltet Texte von Ronja von Rönne, Kathrin Wessling, Charlotte Jansen, Nakeya Brown, Andy Kassier und Leah Schrager, Karim Crippa, Gabriele Schor und Signe Pierce. Besonders lesenswert war für mich das Interview mit Gabriele Schor, die aus ihrem weiten Erfahrungsschutz feministischer Kunst berichtet und gekonnt den Kunstbetrieb kritisiert (S. 185) und stellt auch die Frage, welchen Anspruch die Netzkünstlerinnen haben. Diese können nach Schor durchaus in der Tradition der feministischen Kunst gesehen werden. Die vorliegende Publikation ist eine gelungene Darstellung über die Entwicklung der feministischen Kunst im Kontext der heutigen Zeit und der Sozialen Medien und nicht nur ein Must-Have für die Sommerlektüre-Liste.

 

 

Facts

Titel: Virtual Normality. The Female Gaze in the Age of the Internet
Herausgeber:  Alfred Weidinger / Anika Meier
Deutsch & Englisch
208 Seiten
Verlag für moderne Kunst
Preis: EUR 28
ISBN: 978-3-903228-56-6
Link zum Buch – VfmK

 

Wir danken dem Verlag für Moderne Kunst für die Übersendung eines Rezensionsexemplares.

 

Fußnoten

[1] Friauf, Zwischen Realität und Utopie, Gender 1/2012, 61.

[2] Alastair Sooke, Is this the first Instagram masterpiece?, in: The Telegraph, 18.1.2016 (URL: http://www.telegraph.co.uk/photography/what-to-see/is-this-the-first-instagram-masterpiece/).

[3] Anika Meier, Netzfeminismus? Ja bitte!, Monopol Magazin, 5.7.2016.