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#Letstalkaboutsexes – Vom #Geschlechterkampf in der Kunst

Den aufmerksamen Leser_innen unserer Webseite ist bekannt, dass wir uns immer wieder mit Aspekten der feministischen Kunstgeschichte auseinander setzen. Neben der Pinkifizierung, Rabenmüttern und #regrettingmotherhood, Frauen im Selbstporträt oder Die bessere Hälfte, haben wir uns vor längerer Zeit (genauer gesagt bereits 2009) einige Gedanken zu der Thematik “Einführung in Bildtheorien und Kanones feministischer Kunstgeschichte ‐ Warum sind Fragen der Geschlechterkonstruktionen der blinde Fleck der Bildwissenschaft?” gemacht, deren Ergebnisse selbst nach Jahren nichts an Aktualität und Brisanz verloren haben.

Utopia ?

In der Geschichte utopischer Ideen ist der Feminismus eine relativ neue Utopie, die es anstrebt, eine Beherrschung des gesellschaftlichen Lebens, der Kunst und der Wissenschaft zu erreichen. Waren es in der Vergangenheit der Rassismus und Faschismus, der die Menschen nach ihrer Rasse und ethnischer Herkunft gliederte, später der Kommunismus, der dies durch die soziale Klasse und das Eigentum schaffte, will der Feminismus nicht nur den Bereich der Kunst auf dem Prinzip des Geschlechts teilen, wie hier anhand eines Gemäldes von Tamara De Lempicka, anhand der Andromeda, veranschaulicht werden soll.

Open your heart to me, baby …

Bereits die Namensgebung des Gemäldes von Tamara de Lempicka bietet eine Vielzahl von spannenden Auslegungsmöglichkeiten. Das Gemälde „Andromeda“ trägt nicht nur diesen Namen, sondern ist auch unter dem Titel „The Slave“ oder „L‘esclave“ bekannt. Bereits die unterschiedliche Namensbezeichnung des Gemäldes führt in zwei unterschiedliche Richtungen der Betrachtung. Andromeda ist in Erwartung ihres männlichen Erretters in Gestalt von Perseus, dem sie nach ihrer Rettung versprochen wird, mit ihm verheiratet wird und mit ihm viele Kinder zeugt. Wird die Geschichte von Andromeda außer Augen gelassen und lässt an ihre Stelle die Sklavin treten, so bieten sich eine Vielzahl von weiteren Auslegungsmöglichkeiten. Was bedeuten die Ketten der gefesselten Frau, wie ist ihre Körperhaltung, ihre Haltung des Kopfes zu verstehen? Ist ihre Haltung für eine „typische“ Sklavin nicht zu stolz?

„Die Mittelschicht‐Frau hat sehr viel mehr zu verlieren als ihre Ketten.“ Linda Nochlin

Gioia Mori((   Gioia Mori, Tamara de Lempicka, Milan 2006.)) legt die Darstellung „Andromedas“ als Selbstporträt Tamara de Lempickas aus, als stumme Beschwerde einer gefesselten Ehefrau durch die Ketten der Ehe, von denen sie Befreiung erwartet. Gerade diese Interpretation bedeutet das Gegenteil von Andromeda, die gefesselt auf ihre Befreiung wartet um geheiratet zu werden. 1927 von ihrem Mann verlassen, folgte die Scheidung bereits im Jahr 1928, 1929 malte Lempicka für Baron Kuffner dessen Geliebte, um danach deren Platz an seiner Seite einzunehmen und ihn 1933, ein Jahr nach dem Tod seiner Gattin, zu heiraten. Die Ketten können daher auch eine Anspielung seiner Bindung an sie sein, aber auch das Zitat von Shaw, wonach eine liebende Frau eine Sklavin sei, die ihrem Herrn die Ketten anlegt, gewinnt in diesem Zusammenhang einen interessanten Aspekt: Die Sklavin wird zur erotischen Herrscherin über den Mann, der glaubt, dass er ihr Ketten anlegen kann, gleichzeitig aber nicht erkennt, dass ihm selbst Ketten angelegt werden.

Lempicka schuf mit ihren Werken, die unterkühlt, kubistisch angehaucht wirken, eine Weiblichkeit, die nicht mehr passiv sondern in aggressiver Form Sexualität ausstrahlt, wobei ihr dies in einer nicht kitschigen Weise gelingt, ihre Modelle wirken wie kühle, elegante Schaufensterpuppen. Gelernt hat Lempicka bei Lhote und von Ingres, dessen Akte (im Bezug auf Andromeda ist besonders Ingres Angélique von Bedeutung) sie aus dem Louvre kannte. Das führt den Fragestellungen: Warum beschäftigen sich Künstlerinnen so intensiv mit dem weiblichen Körper, wie ist daher Lempickas Andromeda auszulegen, warum gab es keine bedeutenden Künstlerinnen und wie sieht die Marktsituation weiblicher Kunst aus bzw. welche Preise erzielen Künstlerinnen am Kunstmarkt ?

Body awareness

Über die Jahrhunderte wurde mit dem Weiblichen das Leibliche verbunden, außerdem bildete der nackte oder bekleidete Körper das Hauptinteresse der Kunst vom Anbeginn der Antike. Die Gebärfähigkeit der Frau wird immer wieder gegen die Schöpferkraft des Mannes gesetzt, die natürliche Schwachheit der weiblichen Hand gegen den kräftigen Pinselstrich eines Meisters. Die Frau bleibt immer nur die Muse, die mythologische und allegorische Gestalt, das Objekt der Aktdarstellung, nie die Schöpferin, nie das Genie. Laqueurs Theorie vom biologischen Geschlecht und seiner Differenz zum sozialen Geschlecht postuliert einen grundlegenden Wandel der neuzeitlichen und modernen Kultur, einen Paradigmenwechsel hin zum Zwei‐Geschlechter Modell.((   Heinz-Jürgen Voß, „Weiblichmännlich“, „männlichweiblich“ – bisexuelle Konstitution als Basis „moderner“ biologisch-medizinischer Geschlechtertheorien: in: Martin Schneider/ Marc Diehl [Hrsg.], Gender, Queer und Fetisch: Konstruktion von Identität und Begehren. Männerschwarm, Hamburg 2011, S.11-29.)) Die Differenzierung beginnt aber schon zur Zeit Jan van Eycks, wie schon in der Theorie Hammer‐Tugendhat aufgegriffen.((   Daniela Hammer-Tugendhat, ”Jan van Eyck—Autonomisierung des Aktbildes und Geschlechterdifferenz,”, in: Link (Stand 01.02.2017). )) Diese bewirkt eine Autonomisierung des Aktbildes und der Geschlechterdifferenz. Wir sehen eine theologische oder mythologische Rechtfertigung von Aktbildern und zugleich eine Verleugnung von Erotik durch die Kunstgeschichte bei van Eycks Genter Altar – Adam und Eva. Die profane Aktmalerei seit der Renaissance zeigt fast ausschließlich Frauen. wie zum Beispiel bei Bellinis „Frau bei der Toilette“. Die Geschlechterdifferenz drückt sich in Dichotomien von Natur – Kultur, Körper – Geist aus. Der Körper wird zu einem ergiebigen und unter verschiedensten theoretischen Prämissen durch deklinierten Thema und damit auch zu einer zentralen Kategorie feministischer Theoriebildung. In Lempickas Kunst wird die Frau zum modernen Dandy, inspiriert durch die Filmindustrie der 1920er – 1930er, präsentiert mit einem Hauch Marlene Dietrich, gewürzt mit einem Hauch Pariser Art Déco‐Eleganz, später bekannt als Soft‐Kubismus. Weiterhin wird aber die Unterstellung des Mannes unter den Willen einer Frau ein Tabu bleiben, da diese der der Stellung widerspricht, welche die Natur dem Manne gegenüber der Frau angewiesen hat und wie sie durch die Verschiedenheit der Geschlechter begründet ist. Sie widerspricht dem natürlichen Charakter des Mannes, heißt es in Stadelmann Theorie der frühen 1920er.((   Stadelmann, DRiZ 1921, in: Birgit Forgó-Feldner, Juridikum. Zeitschrift im Rechtsstaat,. Nr. 5/1994, Alle Menschen werden Brüder. 75 Jahre Juristinnen, Wien 1994, S. 36-41.)) In der Zeit, in dem Männer die Welt der Kunst dominierten, wird Tamara de Lempicka nicht unbemerkt bleiben, sondern als Phönix aus der Asche erwachen und ihre weibliche Sexualität zu ihrem Vorteil verwenden.

Heller und glatter versus dunkler und muskulöser

Dies führt zu den Ausführungen Öhlschläger/Wiens die von drei Funktionen des weiblichen Körpers ausgehen: die Natürlichkeit des Körpers, der weibliche Körper als Ort von Einschreibungen und als Schauplatz an dem Erinnerungssymbole des kulturell verdrängten in Erscheinung kommen. Weibliche und männliche Haut werden von Künstlern jeweils anders dargestellt (vgl. das Beispiel Tintoretto, der Hl. Hieronymus und Susanna im Bade).((   Claudia Öhlschläger /Birgit Wiens [Hrsg.], Körper — Gedächtnis — Schrift. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung, Berlin 1997.)) Die weibliche Haut erscheint heller, glatter, sie hebt sich vom Hintergrund ab, die männliche Haut wirkt dunkler, muskulöser. Karl‐Josef Pazzini führte zu der Thematik „Haut“ aus, dass die Haut Blickfang sei, der Blick ging nicht durch sie hindurch, was dahinter passiere, muss vorgestellt werden.((   Karl-Josef Pazzini, Bildung vor Bildern.Kunst – Pädagogik – Psychoanalyse, Bielefeld 2015.))
Gegensatz zur Susanne im Bade wirkt die fast maskulin, muskulöse, schnittig, an einen Boliden der 20er Jahre erinnernde, Andromeda (oder Sklavin) Lempickas anders, weniger rund, aber immer noch sehr weiblich. Das Licht in Lempickas Gemälde setzt gewisse Körperpartien in den Mittelpunkt (Brüste sowie Hüfte). Die Frau dient als Projektionsfläche oder als Einschreibungsort für männliche Interpretation. Ingres Angélique im Vergleich zu Lempickas Andromeda wirkt viel verletzlicher, sie benötigt Hilfe, die sich auch in Form eines edlen Retters auch bekommt, Andromedas Hände sind zwar in Ketten, ihre Haltung des Körpers und des Kopfes strahlen eine Überlegenheit aus. Lempicka rückt die Frau der 20er Jahre in ein anderes Licht, eine moderne Femme Fatale. Kann Andromeda nicht auch als Allegorie angesehen werden? Die versteinerte Weiblichkeit der Dargestellten als Allegorie auf die Frau in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ? Noch angekettet, aber bereits am Weg in die Freiheit, Unabhängigkeit? Frauen und das Weibliche spielten in Opfermythen immer eine wichtige Rolle, Frauen spielten die Rolle der Opfergabe, als Subjekte wurden Frauen allerdings nicht anerkannt (Schade/Wenk).((   Sigrid Schade/Silke Wenk, Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld, Bielefeld 2011.)) Bei Lempicka wirkt Andromeda nicht wie das Opfer, das hingegeben werden soll. Margaret Walters (1979) sieht in der kubistischen Kunst eine „grausam misogyne Lust“ der Zerstückelung, es war auch die Rede von Zerstörung sexueller Integrität von Frauen, Lempicka gelingt es aber auch hier abzuweichen, ihre Werke orientieren sich an kubistischen Vorbildern, zerstören bzw. zerstückeln aber das weibliche nicht.((   Margaret Walters , The Nude Male: A New Perspective, London 1979.))

Inszenierung des Sehens

Die Frage, warum es keine bedeutenden Künstlerinnen gab bzw. warum Frauen aus der Kunstgeschichte ausgeschlossen birgt einige spannende Aspekte und wurde von uns schon bereits öfters angesprochen (zuletzt bei der Pinkifizierung von Kunst). Sigrid Schade und Silke Wenk gehen in ihrem Aufsatz Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenzen darauf ein.((   Sigrid Schade/Silke Wenk, Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenzen, in: Hadumod Bußmann [Hrsg.], Genus: zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995 , S. 340-407.)) Sie beziehen sich vor allem auf den Aufsatz von Linda Nochlin, Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen geben?.((   Linda Nochlin, From 1971: Why Have There Been No Great Women Artists?, in: Link (Stand 01.02.2017). )) Bis vor kurzem war schlichtweg unausgesprochenes Zentrum des kunsthistorischen Diskurses der weiße, heterosexuelle Mann. Frauen spielten nur in Form von weiblichen Aktbildern eine Rolle (siehe dazu oben). Nochlin führt anschaulich aus, dass weiblichen Künstlerinnen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts keine Aktmodelle zur Verfügung standen bzw. gestellt wurden, gleichzeitig war ein Studium der Aktmalerei von entscheidender Bedeutung für die Ausbildung eines Künstlers. Das Problem liegt daher in einer mangelnden Zurverfügungstellung von Institutionen (Akademien, Universitäten, Kursen). Die wenigen Frauen, die entgegen aller Widerstände erfolgreich waren, hatten alle eines gemeinsam: sie waren fast alle Töchter von Künstlern oder hatten eine enge persönliche Beziehung zu einer männlichen Künstlerpersönlichkeit (Berthe Morisot & Manet, Mary Cassatt & Degas). Künstlerinnen wie Paula Modersohn‐Becker oder Käthe Kollwitz stammten nicht mehr aus Künstlerfamilien, sondern konnten bereits (mit Widerstand, aber doch !) ihren eigenen Weg gehen, wobei diese wiederum Künstlerkollegen heirateten. Nur wenn eine Frau männliche Eigenschaften wie Zielstrebigkeit, Konzentration oder Ausdauer (usw.) annimmt, dann kann sie erfolgreich sein. Dies gilt nicht nur im Bereich der Kunst, sondern auch auf anderen Gebieten. Frauen wurde (und wird) es von institutioneller Seite her unmöglich gemacht, gleiche Voraussetzungen wie ihre männlichen Kollegen vorzufinden, dies sei nach Nochlin auch der Grund, warum es keine bedeutenden Künstlerinnen gab. Erst durch das Schaffen von Institutionen wurde es möglich eine gleiche Ausbildung zu genießen.

Tamara de Lempicka beschritt diesen Weg und wich mit ihren Werken von den „vorgeschriebenen Konventionen“ ab, sie beherrschte das Spiel zwischen moderner, unabhängiger Frau und Femme Fatale, sie setzte (und nahm sie auch an) die männlichen Eigenschaften in gekonnter Weise um, ohne den weiblichen Zugang zu verleugnen.

Zum Aspekt des Wertes von Kunstwerken von Frauen

Subsumiert man diese Idee unter den Wert der (feministischen) Kunst von Künstlerinnen bei Auktionen, so wird nicht nur bei dem Werk Tamara de Lempickas ersichtlich, dass sich an der Theorie der 1920er nicht viel verändert hat. Zwar erzielt ein von ihr Werk (Portrait von Mrs. Bush) im Jahr 2004 bei einer Auktion von Christie‘s in New York die magische Summe von 4,6 Millionen Dollar, es scheint aber eine Ausnahme gewesen zu sein. Untersucht werden muss daher, wieso Lempickas Werk diese Summe erreichen konnte ? Kann 2004 als ein Umbruch im Denken und der Wahrnehmen der weiblichen Kunst betrachtet werden, wenigstens aus der ökonomischen Sicht ? Mitnichten. Die weiblichen Künstlerinnen kämpfen weiterhin gegen Vorurteile und Diskriminierung, sie erzielen weiterhin nur einen Bruchteil des Preises ihrer männlichen Kollegen. Der Marktwert eines Künstlers sollte nichts mit seinem Geschlecht zu tun haben, wovon die Praxis aber abweicht. Die Theorie Wirths bestätigt diese Vermutung und hebt die Enttäuschung vor, die durch den Preis eines herausragenden weiblichen Künstlers im Verhältnis zu einem männlichen Kollegen erzielt wird. Das „Wunder von Christie’s“ versteckt sich nicht in der Veränderung des Wahrnehmens, sondern in der Tatsache, dass Lempickas Bilder werden jetzt vor allem durch Hollywood‐Größen gesammelt werden, von Film‐ und Popstars wie Jack Nicholson, Barbra Streisand oder Sharon Stone. An dieser Tatsache kann man nachvollziehen wie sich die Popkultur tatsächlich mit der Kunst des frühen 20 Jhdt. verknüpft. Madonna, die zeitgenössische US‐amerikanische Sängerin, ein moderner Dandy, eine moderne Konstruktion der Femme Fatale, die in ihrem Schaffen und Stil an die ausgesprochen unterkühlten kubistisch anmutenden Bilder Lempickas erinnert, ist ein großer Fan und Sammlerin von Lempickas Arbeiten. Am Beginn Madonna’s “Open your Heart” Video (1987) thront eine überdimensionale Andromeda über dem Eingang eines einschlägigen Etablissements. Der Text lautet:

„Open your heart to me, baby, I’ll hold the lock and you hold the key, Open your heart to me, darlin’, I’ll give you love if you, you turn the key …”

Fraglich ist, wie viele Schlüssel wir noch benötigen werden, bis die Kunst von Künstlerinnen den gleichen moralischen, als auch ökonomischen Preis erzielt wie die männliche Kunst.

Zuletzt hat, wie von uns im Beitrag “Pinkifizierung von Kunst ?!” angesprochen, die Auktion Nr. 5 der Ressler Kunstauktionen für einiges Aufsehen und Diskussion gesorgt. Dazu möchten wir uns demnächst wieder äußern.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Social-Media-Aktion zur Ausstellung Geschlechterkampf – #letstalkaboutsexes, die noch bis 19.3.2017 im Städel Museum zu sehen ist.